Sie wissen genauso gut wie wir, daß Feste allzu häufig nach dem üblichen Schema ablaufen: zunächst beklemmende Anfangsstimmung, etwas steif und förmlich. Dann mit zunehmendem Alkoholkonsum lockern sich die Zungen und die Glieder; es wird getanzt. Dann plötzlicher Stimmungabfall, es wird noch ein wenig geschwätzt und gealbert, bevor man schließlich nach Hause geht.
Für die normalen Besucher gibt es kaum Möglichkeiten sich gestalterisch, aktiv am Ablauf des Festes zu beteiligen. Vir wollten es einmal anders versuchen, die Bedingungen dazu waren denkbar günstig: Anlaß dieser ganzen Überlegungen war der bevorstehende Abriß des Hauses, in dem Helmut und Herbert Stockhecke aufgewachsen und über 20 Jahre gelebt hatten. Eine Kette von Erlebnissen und Erinnerungen verbanden sich mit diesem Haus: hier in Neumühl haben wir uns in der Freizeit häufig getroffen. Hier hatten viele zum ersten Mal das Gefühl sich außerhalb des Elternhauses frei bewegen zu können. Viele von uns gingen in diesem Haus aus und ein, erlebten Feten, Streit, Diskussionen, Liebe und Spaß. Jetzt sollte das Haus abgerissen werden – eine letzte Gelegenheit mit all diesen Leuten ein letztes Fest zu feiern.
Die Wohnungen waren bereits geräumt und damit bestand die einmalige Chance die Wände zu bemalen, nicht auf Zigarettenasche achten zu müssen, sich austoben zu können. Und damit dieses Fest nicht in dem üblichen, gerade beschriebenen Schema abläuft, planten wir viele Aktionen. Wir besorgten Farbe, Pinsel, Federbetten, Blätter, Weihnachtsdekorationen, Kleider und Anzüge. Wir konstruierten eine Schaummaschine, die während der Fete ständig Schaum produzieren sollte. In einem Raum legten wir alte Klamotten aus, so daß alle die Möglichkeit hatten sich zu verkleiden. In einem anderen Zim-mer war der Boden mit Federn bedeckt.
Wir richteten einen „Radioaktivraum“ ein, in dem während des Festes durch brennende Wunderkerzen ein radioaktiver Unfall demonstriert werden sollte. Den Flur gestalteten wir wie eine Herbstlandschaft mit Blättern, Bäumen, Regenschirmen, Büschen…
Als Zeichen der Trauer über den bevorstehenden Abriß hängten wir eine schwarze Fahne aus dem Fenster, wie es in Neumühl beim Zechenabriß Tradition war. Es hat riesigen Spaß gemacht das alles vorzubereiten, noch größeres Vergnügen entstand, als die ersten erschienen und den Mund vor lauter Staunen nicht mehr zu bekamen.
Bevor wir jetzt mit der Beschreibung der Fete beginnen, wollen wir noch etwas zu den eingeladenen Personen sagen: Angesprochen war unser gesamter Bekanntenkreis, der sich aus unserer Vergangenheit (Schule, Ausbildung) und unserem Engagement im Esch-Haus, in der Bürgerinitiative gegen Atomanlagen, im Frauenzentrum, in der Selbsthilfe der Zivildienstleistenden und anderen Gruppen zusammensetzt.
in : Dokumentation zum Neumühl-Prozess (1979)