Wir haben uns bislang bemüht, Ihnen einen Eindruck von den Vorbereitungen und dem Verlauf des Festes zu vermitteln. Auch wenn das gedruckte Wort dies nur sehr unvollständig und begrenzt vermag, können Sie vielleicht nachvollziehen, daß das Erscheinen zweier Polizei-Beamter gegen 22 Uhr 30 uns nicht aus der Fest-Stimmung reißen konnte. Ausgelassen wie wir waren, wurden die Herren zum Mitfeiern aufgefordert. „Zieht die Uniform aus“ und „für die Polizei -Dienstags frei“ wurde gerufen.
Die Beamten verlangten, daß die Musik leiser gestellt würde, der Aufforderung wurde nachgekommen, ob mit Erfolg oder nicht – darüber gehen die Meinungen wohl auseinander: jedenfalls rückten 20 Minuten später 42 Beamte mit Schlagstöcken und Maschinenpistolen an.
Von ihrem „besonnenen“ Vorgehen konnte schon beim Betreten des Hauses keine Rede sein. Sie traten willkürlich Türen ein und trieben ohne jede Vorwarnung Festteilnehmer aus dem Haus. Der Einsatz wird von offizieller Seite mit „Unterbindung von erheblicher Ruhestörung“ begründet – allerdings erst im Nachhinein. Uns wurde eine Angabe während des Einsatzes verweigert, ja, konnte für uns auch in keinster Weise erkennbar sein, da auf Grund eines Stromausfalls auch die Stereoanlage schwieg, mithin von „Erheblicher Ruhestörung“ selbst bei unterschiedlichsten Lärmbelästigungsschwellen keine Rede sein konnte.
Durch den Stromausfall herrschte vollkommene Dunkelheit im Tanzraum, in dem sich die meisten Leute aufhielten. Während dieser Zeit hatte sich die Polizei schon im ganzen Haus verteilt. Als das Licht im Tanzsaal wieder anging begannen die Beamten brutal das Haus zu räumen. Es wurde dabei mit den Maschinenpistolen gedroht, teilweise an den Haaren gerissen, geschlagen und einige sogar die Treppe hinuntergeworfen. Wir wurden auf den Hof getrieben, wo zum wiederholten Male verlangt wurde, Sinn und Zweck dieser Aktion, sowie den .Namen des verantwortlichen Einsatzleiters zu erfahren.
Die Reaktion der Beamten war höhnisches Gelächter und zynische Bemerkungen: „Meine Dienstnummer lautet 4711“, u.a. Viele mußten lange in leichter Kleidung in der Kälte stehen, da wir bei der Räumung nicht einmal unsere Sachen zusammensuchen durften.
Wir waren fassungslos und empört über die Brutalität – sie war uns unerklärlich und unvorstellbar. Einige stimmten Sprechchöre an, andere versuchten mit einzelnen Beamten zu diskutieren. Wir wurden aufgefordert nach Hause zu gehen, doch wir dachten nicht daran: Wir wollten weiterfeiern, und außerdem waren unsere Jacken, Mäntel usw. noch im Haus. Einem wurde dann erlaubt unsere Sachen aus dem Haus zu holen. Gleichzeitig begannen die Beamten uns ohne Erklärungen über den Grund des Einsatzes vom Hof zu drängen.
Plötzlich wurde einer von uns, der wie viele andere noch immer hartnäckig nachfragte, von zwei Beamten zu Boden gerissen und in ein Polzeifahrzeug gezerrt. Die Frau, die unmittelbar daneben stand rief mehrmals „Aufhören“. Unsere Entrüstung stieg, Sprechchöre werden von neuem angestimmt: „Freilassen,freilassen!“ Statt den einen freizulassen, drängen sie uns immer massiver vom Hof, zerren einzelne an den Haaren, wahllos werden zwei von uns herausgegriffen und festgenommen.
Voller Empörung weigern wir uns jetzt endgültig nach Hause zu gehen. Um weitere Festnahmen zu verhindern halten wir uns gegenseitig an den Händen fest und haken uns ein. Dies war für die Polizisten offenbar das Signal für den Sturmangriff. Ein Beamter, möglicherweise der Einsatzleiter rief: „Geht nach Hause, euer Plan ist gescheitert!“
Dann plötzlich, und ohne Vorwarnung wurde mit Gummiknüppel und dem Kampfgas RSG 1( chemische Keule) gegen die Festteilnehiner vorgegangen. Einige wurden von dem Gift aus nächster Nähe, absichtlich, mitten ins Gesicht getroffen. Wir rannten entsetzt, schreiend, voller Panik. Während einige versuchen den Verletzten zu helfen – Anwohner ge-ben uns Wasser für die Augen – versammeln sich andere nach und nach wieder auf der Straße vor der Hof einfahrt.
Das ist dann der Auslöser für den nächsten Angriff: Tränengas, Gummiknüppel, Festnahmen, Verletzte. Doch damit lange nicht genug: Immer wieder, und auf immer brutalere Weise wird jede Ansammlung von uns angegriffen uns auseinandergetrieben, schließlich werden sogar einzelne gejagt. Als wir endlich – vielleicht noch ein Rest von 50 Festteilnehmern und schon über 500 m vom Haus entfernt – glaubten, der Einsatz sei endlich vorüber und uns überlegten, was mit den Festgenommenen wird, und wie wir nach Hause kommen, werden wir von einem neuen Überfall überrumpelt:
Aus verschiedenen Richtungen jagen Polizeifahrzeuge mit aufgeblendeten Scheinwerfern auf uns zu. Polizeibeamte springen heraus, reissen einzelne zu Boden und setzen wieder die „chemische Keule“ aus nächster Entfernung ein. Einige können sich nur durch kühne Sprünge in Vorgärten vor der nunmehr perfekten Menschenjagd retten.
Noch eine Stunde später, so berichten völlig unbeteiligte Zeugen, wurde das Viertel nach „Menschenansammlungen“ durchkämmt. Nachdem unser Fest so zerschlagen worden war, beschlossen einige zum Polizeipräsidium Hamborn zu fahren, um sich nach den Festgenommenen zu erkundigen. Cirka 50 Festteilnehmer warteten vor der Wache. Einem inzwischen von uns verständigten Rechtsanwalt wurde der Einlass verweigert mit der Begründung: „Er störe nur die Ermittlungen.“
Diese Darstellung der Vorfälle in : Dokumentation zum Neumühl-Prozess (1979)